Gewöhnliche Baldachinspinne (Linyphia triangularis); © Roland Günter

Gewöhnliche Baldachinspinne (Linyphia triangularis) – Einläutung des Altweibersommers

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Gewöhnliche Baldachinspinne (Linyphia triangularis) – Einläutung des Altweibersommers

Sa., 02/10/2021 - 11:55
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Herbstbeginn!

Mit dem Herbst verbinden wir den Altweibersommer. Heute bezeichnet dieser Begriff eine herbstliche Schönwetterphase mit noch recht hohen Temperaturen. Früher verband man mit dem Altweibersommer ein Phänomen, das im Herbst vielerorts anzutreffen ist: Junge, nur wenige Millimeter kleine Baldachinspinnen nutzen feine Spinnfäden, mit denen sie durch die freie Luft "wind-surfen". Biologen sprechen von "Ballooning", was diesen Vorgang treffend beschreibt. Mittels dieses raffinierten Transports gelangen Jungspinnen rasch und Kraft sparend in neue Lebensräume.

Und wie ist das nun mit den "alten Weibern" im Altweibersommer? Die Flugfäden, die zu abertausenden zusammen mit den kleinen Spinnen durch die Luft schweben, erinnerten die früheren Menschen an das graue Haar älterer Frauen. Und so sprach man vom "Sommer der alten Weiber" – Altweibersommer.

Diese Assoziation ist heute nicht mehr zeitgemäß; die Deutung wurde umgedeutet. Und so beschreibt heute der Altweibersommer die wunderbaren letzten warmen Tagen des Jahres, bevor der kalte Herbst die Oberhand gewinnt – unabhängig davon, wie alt oder jung irgendwelche "Weiber" sind.

Zur Zeit fliegen aber nicht nur die jungen Baldachinspinnen durch die Lüfte, auch die erwachsenen Spinnen sind im Herbst fast überall leicht in ihren Baldachin-Netzen zu finden – auch in fast jedem nicht komplett versiegelten und abgeschotterten Garten! Sie sind tolle Motive sowohl für die klassische Makrofotografie...

Weibchen der Gewöhnlichen Baldachinspinne beim Jagdansitz in ihrem Baldachin.

Sony A7R 3; Voigtländer Macro Apo-Lanthar 2.5/125mm; 1/800s; Blende 2.5; ISO 100
 

...als auch für die Fotografie mit Vintage-Objektiven.

Weibchen der Gewöhnlichen Baldachinspinne beim Jagdansitz in ihrem Baldachin.

Sony A7R 3; Taylor & Hobson Cooke Kinetal 3.8/150mm; 1/500s; Blende 3.8; ISO 200 – dieses Filmobjektiv stammt aus den 1950er Jahren.
 

Im vergangenen Jahr wohnte zusammen mit mir hier in Spinnenhausen eine Baldachinspinne, sie hieß Annegret; ich hatte einige Fotos von Annegret eingestellt und immer wieder über ihre Verhaltensweisen berichtet. Zahlreiche User fanden daraufhin ebenfalls Baldachinspinnen und stellten ihre tollen Fotos hier bei Makrotreff ein.
Es ist durchaus möglich, dass es sich bei der Spinne, die nun hier in Spinnenhausen an exakt der gleichen Stelle ihren seidenen Baldachin aufgespannt hat, um Annegret aus dem Vorjahr handelt.

Warum ist diese Spinne so fotogen?

Ich möchte zwei Aspekte herausheben:

Ein Grund ist, dass sie meistens relativ frei waagerecht unter ihrem Baldachin-Netz hängt. Bei vielen solcher Netze lassen sich die umgebenden Pflanzenteile, an denen das Baldachin-Netz aufgehängt ist, attraktiv in den Hintergrund einbauen. Insbesondere bei der Verwendung von Vintage-Objektiven ergeben sich häufig wunderbar gemalte Bokehs.

Zum weiteren ergeben sich meist tolle Lichtstimmungen, weil die Baldachin-Netze in der Regel so angelegt werden, dass über ihnen freier Himmel ist.
Auf diesem Prinzip beruht die Tarnung der Baldachinspinne. Ihre Oberseite ist heller als die Unterseite (dies ist bei sehr vielen anderen Tieren umgekehrt!). Dadurch, dass die jagende Spinne mit dem Bauch nach oben – also quasi umgekehrt – in ihrem Netz hängt, befindet sich, von unten aus betrachtet, ihre helle Körperoberseite vor dem hellen Himmel. So wird sie von potentiellen Beutetieren – aber auch von ihren Feinden – aus der Vegetation unter sich kaum wahrgenommen.
Anders herum ist sie aber auch von oben kaum sichtbar; hier schützt sie ihre dunkle Unterseite vor dunklem Untergrund.

Das fotografisch Besondere: Die tief stehende Frühherbst-Sonne durchflutet die im Netz sitzende Spinne und bringt atemberaubende Flares und Reflexe ins Bild.
 

Weibchen der Gewöhnlichen Baldachinspinne beim Jagdansitz in ihrem lichtdurchfluteten Baldachin.

Sony A7R 3; Meyer-Optik Görlitz Oreston 1.8/50mm (= Pentacon oder Revuenon 1.8/50mm); 1/1250s; Blende 1.8; ISO 100 – dieses Fotoobjektiv stammt aus den 1960er Jahren.

Tipps zum Fotografieren

  • Freies Arbeitsfeld schaffen: Meist lassen sich störende Pflanzenteile seitlich neben dem Baldachin-Netz in begrenztem Umfang entfernen. Um Störungen möglichst zu minimieren, eignet sich hierzu sehr gut eine kleine Schere in Kombination mit einer Pinzette. Oft reicht das Entfernen von nur wenigen kleinen Blättern oder Ästen, um für die Kamera eine ausreichend freie Sichtachse zu erhalten.
     
  • Eine Beziehung mit der Spinne aufbauen: Es ist meist von Vorteil, ein wenig Zeit mit der Spinne zu verbringen. Vorsichtige Bewegungen beispielsweise mit der Kamera oder mit der oben beschriebenen Schere/Pinzette in der Nähe der Spinne ermöglichen ihr, die für sie neue Situation einzuschätzen. Nach einiger Zeit erkennt sie, dass der "Besucher" nur ein paar schicke Fotos von ihr machen möchte – und wird deutlich zahmer. Aus dieser trauten Harmonie heraus lassen sich dann die tollsten (Vintage-)Makrofotos shooten :-).
     
  • Ruhe bewahren: Wenn die Spinne aus dem Netz flüchtet – warten! Die Spinne will jagen, sie kommt meist nach kurzer Zeit wieder zurück ins Netz. Einfach regungslos abwarten...
     
  • Lieblingsplatz auskundschaften: Jede Baldachinspinne hat in der Regel einen Lieblingsplatz im Netz, den sie gerne wiederholt und mit gleicher Körperausrichtung einnimmt. Erkennst Du diesen, kannst Du Dich von vornherein von einer perspektivisch günstigen Seite nähern.
     
  • Blende auf: Nicht nur beim Fotografieren mit Vintage-Objektiven, sondern auch bei modernen Objektiven mit Offenblende fotografieren und hierbei den Schärfepunkt exakt auf die Augen der Spinne legen. Das führt zur weitestgehenden Harmonisierung des Hintergrunds; störende Strukturen werden reduziert.


Gerne kannst Du einen Kommentar unterhalb des Post abgeben.
Solltest Du ebenfalls dieses Jahr eine Baldachinspinne finden und fotografieren, kannst Du auch gerne ein Foto hier unterhalb dieses Posts einstellen und/oder Deine Erfahrungen schildern. Vielleicht kommen ja ein paar Bilder und interessante Geschichten von diesem tollen Tier zusammen. Möglich sind natürlich klassische Makrofotos, aber auch wagemutige Bildexperimente mit Vintage-Objektiven – oder auch "nur" eine bewegende Story von einer tiefgreifenden Begegnung. Auf jeden Fall wünsche ich Euch viel Freude mit meiner – und vielleicht auch mit Eurer – "Annegret"... :-).

Roland
 

[Siehe auch den Post Das große Techtelmechtel.]

 

Roland Günter ist Betreiber von Makrotreff und Chefredakteur von MAKROFOTO. Der Dipl. Forst-Ingenieur betreibt die Makrofotografie hauptberuflich und verwaltet ein umfangreiches biologisch-wissenschaftliches Bildarchiv.

Der Kern seiner Arbeit liegt in der Dokumentation biologischer Vielfalt. Zu diesem Themenkomplex werden seit vielen Jahren seine Fotos und Reportagen im In- und Ausland in vielen gängigen Zeitschriften und Buchproduktionen publiziert.

Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildet die von ihm auf professionelles Niveau gehobene künstlerisch-kreative Vintage-Makrofotografie – also die Fotografie mit alten Objektiven an modernen Sensoren. Unter anderem hat er den einzigartigen Multivisions-Vortrag Fotografie mit Flair – Malen mit der Kamera konzipiert und neben anderen Events bei den Internationalen Fürstenfelder Naturfototagen vor großem Publikum gehalten.

Kommentare

Profile picture for user Ingo Heymer
Makronist

Hallo Roland,

wie schön, dass du das Thema noch einmal eröffnest - und das garniert mit vielen Infos über die Spinne und Tipps zum Fotografieren. Ich möchte wetten, dass ich nicht der Einzige bin, der sich gerne noch einmal an diesem Motiv versuchen möchte! 

Da stelle ich doch direkt noch ein Bild vom letzten Jahr ein. Zu sehen ist, wie das kleine Männchen (links) dem Weibchen nach langem und entzückend anzusehenden Balztanz seinen Spermatropfen übergibt. Das Bild entstand zum "Saisonfinale". Jetzt freue ich mich darauf, erneut die Altgläser einzusetzen. Ich bin wirklich gespannt, ob das hier wieder so abgeht wie letztes Jahr ;-)

Liebe Grüße

Ingo

P.S.: Im Naturschutz Magazin gibt es einen Artikel, der mit "Vom Verschwinden der Spinnen auf den Fluren" überschrieben ist - auf Seite 23 des hier einzusehenden PDF´s.  

Profile picture for user Roland

ADMIN

Hallo Ingo,

wow, man kann in der Vergrößerung sehr gut den Spermatropfen erkennen.

Vielen Dank für den Hinweis auf den Artikel von J. H. Reichholf.

Ich bin gespannt auf weitere Bilder zum Thema. Vielleicht gelingt Dir auch dieses Jahr wieder das eine oder andere Sehenswerte... :-).

Liebe Grüße 

Roland

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MOD

Cool Roland ,dann geht es wieder los! freu

Hatte den Post vollkommen übersehen, weil ich dauernd aus dem Internet geflogen bin. Füge mal ein schlechtes Bild an. Hier habe ich kleine Spinnen beobachtet, die sich vom Wind abholen ließen. Sie hielten sich an ein paar Fäden an einer Pflanze fest. Vielleicht sind es kleine Baldachinos, oder?

Liebe Grüße

Gabi

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ADMIN

Hallo Gabi,

jip, wir starten nochmal durch. Die Gewöhnliche Baldachinspinne ist einfach zu fotogen :-). Wenn man einmal raus hat, wie man sich ihr nähert, sind mit dem von oben durchscheinenden Licht dermaßen tolle Fotos drin! Das hat definitiv noch Potential. Dieses Motiv eignet sich hervorragend zum Üben – sowohl klassisch als auch vintage, weil hier Licht und Hintergrund einen hohen gestalterischen Wert haben. Und: Es macht richtig Freude.

Da hast Du ein paar richtige Jungspinnen-Rocker erwischt. Es handelt sich nicht um die Jungen der Gewöhnlichen Baldachinspinne, aber nicht nur die fliegen im Herbst mit Fäden durch die Lande; auch viele andere Jungspinnen nutzen die Technik des Balloonings.

Die Jungen von der Gewöhnlichen Baldachinspinne sehen den ausgewachsenen Tieren schon recht ähnlich. Insbesondere weisen sie bereits sehr früh diese oben beschriebene "Verdreht-Färbung" auf: Körperoberseite hell, Körperunterseite dunkel.

Ich hänge mal ein Foto von so einem kleinen Rocker an, bei dem man das gut sehen kann.

Liebe Grüße 

Roland

... fotografiert mit einem knapp 70 Jahre alten Objektiv.

Profile picture for user Flora1958

MOD

Hallo Roland,

ohja, da sieht man das deutlich. Schönes schickes scharfes Bild vom Junior Baldachino. Schade,ich dachte ich hätte sie auch  erwischt. Danke für`s Zeigen.

Mit den Spinnen und den Altobis kann man eh nicht aufhören, wenn man damit angefangen hat. Gehört wohl zum Vintagevirus dazu. ;-)

Liebe Grüße

Gabi

 

Profile picture for user Dirk
Makronist

Hallo Roland,

ein tolles Thema und geniale Bilder hast Du wieder eingestellt. Der Einladung sich an diesem Motiv zu probieren folge ich sehr gern.

Nur eine Baldachinspinne konnte ich in meinem Garten finden. Mitten im Lavendel hat die Lady ihr Netz gespannt.

Ich möchte zwei Bilder beisteuern. Bei den Bildern habe ich das Cyclop mit Raynox 250 verwendet.

Zeit: 1/200; ISO: 100 aufgenommen am Nachmittag

Zeit: 1/125; ISO: 100

Das zweite Bild entstand an einem nassen und kalten Morgen. Hier habe ich mit einem Licht die Szene ausgeleuchtet.

Liebe Grüße

Dirk

 

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ADMIN

Hallo Dirk,

zwei tolle Bildeinstellungen, die beide die jeweilige Stimmung unter dem Baldachin wiedergeben: das obere mit einem von oben durchflutenden Sonnenlicht, das untere eindeutig den kühlen, nassen Morgen.

Das Licht ist zwar in den frühen Morgenstunden tatsächlich bläulich, aber auf dem Foto ist dieser Farbton etwas zu stark. Solche "Übertreibungen" mag das Cyclop, da würde ich etwas Blau rausnehmen – aber natürlich nicht alles. Es darf/soll noch leicht blau bleiben :-).

Zwei wunderschöne und sehr interessante (Licht-)Blicke in den Baldachin der Spinne!

Liebe Grüße 

Roland

Profile picture for user Ingo Heymer
Makronist

Hallo,

wie schon erwähnt, sind sie bei uns in diesem Jahr wie vom Erdboden verschwunden. Deshalb noch ein Foto aus 2020.

Viele Grüße

Ingo

5D Mark III, (Helios 44-2 ZwRing???) ISO 1000, F 3,5,  Aufnahmedatum 08.09.2020
Profile picture for user Roland

ADMIN

Hallo Ingo,

sieht richtig gut aus, wie die Spinne dort geschützt im Netzbogen ihres Baldachins sitzt. Das sanfte Licht betont genau diesen Bogen – und beleuchtet die Spinne so, dass sie komplett gut durchgezeichnet ist.

Das Foto weist eine ganz geringe Verwacklungsunschärfe auf, die aber erst bei voller Vergrößerung sichtbar wird.

Ich bin gespannt, ob auch bei Dir diese Spinnen im kommenden Jahr wieder auftauchen.

Liebe Grüße 

Roland

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