Nachmieter im Schneckenhaus - Eine tolle Geschichte vom Makrofoto-Workshop!

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Beim Makrofoto-Workshop in Wittighausen bei Würzburg hatte unser User Mainecoon ein verlassenes Schneckenhaus gefunden, es aufgehoben und in seinem Inneren eine kleine Wespe entdeckt. Die Wespe flog rasch aus dem Schneckenhaus heraus. Die Zeit reichte gerade aus, ein Dokumentationsfoto zu machen - ein Foto, das eine umfangreiche Geschichte zu erzählen imstande ist - eine Geschichte, die auf wunderbare Weise Prinzipien biologischer Vielfalt aufzeigt - eine Geschichte. Hier die faszinierende Geschichte - für Mainecoon:

Die kleine Wespe im Schneckenhaus dürfte eine Erzwespe (Chalcididae) sein, wahrscheinlich eine Erzwespe der Gattung Brachymeria. Innerhalb dieser Gattung gibt es allerdings mehrere Arten, und eine Bestimmung bis zur Art ist anhand des Fotos nicht sicher möglich. Deshalb ist die Bezeichnung

Erzwespe (Brachymeria sp.) - oder, etwas unwissenschaftlicher, dafür aber einprägsamer:
Mainecoon-Erzwespe :-).

Erzwespen-Biologie (Brachymeria)

Schauen wir uns die interessante Biologie an, die hinter der Mainecoon-Erzwespe bzw. allgemein hinter Brachymeria-Erzwespen lauert:

Brachymeria-Erzwespen parasitieren bei unterschiedlichen Wirten. Einige von ihnen suchen Larvenstadien von Fliegen auf, insbesondere deren reife Larven. Interessant ist, dass sie wohl weniger von den Larven selbst angezogen werden, sondern mehr von dem Substrat, in dem diese Larven leben. Und das kann nun genau die Geschichte der Mainecoon-Erzwespe in „Deinem“ Schneckenhaus sein: Man sieht im Inneren des Schneckenhauses noch so ´nen schwärzlichen Schnodder. Das könnten Reste einer Schneckenhausbienen-Brut sein.

Schneckenhausbienen - die ersten Nachmieter im Schneckenhaus

Puh, jetzt wird´s kompliziert. Wir müssen einen Schlenker machen:
Es gibt bei uns drei Wildbienenarten, die ihre Nester in leeren Schneckenhäusern anlegen. Das erste Ei wird tief im Inneren des Schneckenhauses abgelegt, mit Pollen und Nektar versorgt und abschließend mit einer Trennwand verschlossen. Dann wird das zweite Ei gelegt und ebenfalls nach Futtereintrag in seine Brutzelle verschlossen. Das ganze Spiel geht so lange so weiter, bis der vordere Eingang des Schneckenhauses erreicht ist. Hier wird dann von der Biene die endgültige Abschlusswand gefertigt.

Nachdem sich nun aus den Eiern im Inneren des Schneckenhauses Larven, Puppen und schließlich die adulten Bienen entwickeln, schlüpfen diese im Folgejahr aus. Übrig bleibt das nun leere Schneckenhaus mit allerlei Brutresten der ausgeschlüpften Schneckenhausbienen.

"Schnodder"-Fliegen - die zweiten Nachmieter im Schneckenhaus

Ich habe schon oft Schneckenhäuser gesehen, aus denen die Brut ausgeschlüpft war und die dann so oder so ähnlich aussehen wie das von Dir gefundene und fotografierte. Nun ist da so ein organischer Rest-Schnodder drin (Brutreste), der natürlich wiederum für kleine Fliegen mit Eiablagewunsch (Diptera) interessant sein kann. Davon gibt es ein ganze Menge verschiedene, schwer zu bestimmende Arten, die ihre Brut in verschiedenem organischen Substrat anlegen - unter anderem auch in Brutresten von Schneckenhausbienen.

Mainecoon-Erzwespen - die dritten Nachmieter im Schneckenhaus

Und nun könnte diese Mainecoon-Erzwespe im Schneckenhaus nachgeschaut haben, ob das der Fall ist und sie dort ihren Wirt findet (eben die Schnodder-Fliegenlarven), um in sie ihre Eier abzulegen - exakt im dem Moment, als Du das Schneckenhaus gefunden und aufgehoben hast (hättest Du das gedacht, als Du es aufgehoben hast - grins?

Biodiversität im Schneckenhaus

Hier schließt sich also der Kreis: Am Anfang war die Schnecke mit ihrem Haus. Dann kamen Schneckenhaus-Bienen, danach restefressende Fliegen. Und schließlich die Erzwespe, um nachzuschauen, ob da noch Larven der restefressenden Fliegen sind. Das ist eine tolle Geschichte!

Der Korrektheit halber ...

Hier ist allerdings eine Menge könnte, würde usw. dabei, weil die Mainecoon-Erzwespe anhand des Fotos nicht eindeutig bis zur Art bestimmt werden kann. Solange die Art aber nicht ganz genau feststeht, kann man nur spekulieren, ob sie genau eine der Arten ist, die sich wie beschrieben verhalten. Auch wenn die gesamte geschilderte Biologie tatsächlich in der Natur genau so vorkommt, handelt es sich also genau genommen im vorliegenden Fall um eine "Vielleicht-Geschichte".

Trotzdem super interessant!

Und was sagt uns diese Geschichte?

Gehe in Dich und sei achtsam, wenn Du das nächste Mal ein Schneckenhaus aufhebst :-).

In diesem Sinne weiterhin "Gut Licht",

Roland

Roland Günter ist Betreiber von Makrotreff und Chefredakteur von MAKROFOTO. Der Dipl. Forst-Ingenieur betreibt die Makrofotografie hauptberuflich und verwaltet ein umfangreiches biologisch-wissenschaftliches Bildarchiv.

Der Kern seiner Arbeit liegt in der Dokumentation biologischer Vielfalt. Zu diesem Themenkomplex werden seit vielen Jahren seine Fotos und Reportagen im In- und Ausland in vielen gängigen Zeitschriften und Buchproduktionen publiziert.

Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildet die von ihm auf professionelles Niveau gehobene künstlerisch-kreative Vintage-Makrofotografie – also die Fotografie mit alten Objektiven an modernen Sensoren. Unter anderem hat er den einzigartigen Multivisions-Vortrag Fotografie mit Flair – Malen mit der Kamera konzipiert und neben anderen Events bei den Internationalen Fürstenfelder Naturfototagen vor großem Publikum gehalten.

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